Zu den Begriffen in Kurzform
Unter
den ehemaligen Häftlingen hat sich im Verlauf
bis heute weit überwiegend die einfache (wenn auch historisch
nicht korrekte) begriffliche Unterscheidung zwischen "Strafvollzug" und "Disziplinareinheit" herausgebildet.
So
soll unterschieden werden, wer auf Grund eines Militärgerichts-Urteils
und wer auf Grund eines bloßen Kommandeursbefehls inhaftiert
war.
Der Absicht nach ist das durchaus zutreffend; in Wahrheit
haben jedoch die so genannten Einrichtungen nicht vom Beginn
der DDR-Militärjustiz und während ihrer Existenz
in unterschiedlicher Form und Bezeichnung existiert.
Die nachfolgende
Einführung dient der historisch korrekten
Trennung der Begriffe nach Chronologie, verantwortlichem
DDR-Ministerium und dem jeweils "offiziellen" Sprachgebrauch
sowie aus Sicht der Bediensteten und Insassen.
Arno Polzin - Eine organisatorisch-strukturelle Einführung.¹
NVA und Schwedt - mit diesem Begriffspaar werden schnell
Militärgefängnis oder Armeeknast, vielleicht
sogar die offizielle Bezeichnung „Disziplinareinheit 2“ assoziiert;
mindestens in dem zu DDR-Zeiten wehrfähigen männlichen
Teil der Bevölkerung. Manche beschwören gar einen „Mythos“ Schwedt.
Doch was verbarg sich dahinter? Welchen Namen hatte die „Dienststelle“,
welchen Status hatten die Insassen? Darüber herrscht
auch in Insiderkreisen noch eine gewisse sprachliche Verwirrung.
Die Bezeichnung der Dienststelle kann chronologisch in
zwei Phasen unterschieden werden.
1. Ab Juni 1968 und bis Herbst
1982 wurde das schon vorher für Zivilstrafgefangene
genutzte Strafvollzugskommando Schwedt auch
(und ab 1972 ausschließlich) für
militärgerichtlich verurteilte Insassen genutzt. Die
Verwaltung erfolgte durch das Ministerium des Innern, das
bisher und weiterhin (neben dem Ministerium für Staatssicherheit)
DDR-weit für den zivilen Strafvollzug zuständig
war. In dieser ersten Phase gab es allerdings eine Wandlung
der Bezeichnung: Bis Mitte der 1970er Jahre wurde die Einrichtung
zunächst Strafvollzugskommando genannt.
Ab 1975 erfolgte zunehmend bis ausschließlich die
Verwendung des Begriffs Strafvollzugseinrichtung.
2. Ab Ende 1982 übernahm das Ministerium für
Nationale Verteidigung die Verwaltung der Dienststelle,
die fortan „Disziplinareinheit 2“² hieß und
den Militärstrafvollzug fortsetzte, aber eine zusätzliche
Gruppe von Insassen für den sogenannten „Dienst
in der Disziplinareinheit“ aufnahm.
In der Selbstbezeichnung kam die Dienststelle zu allen
Zeiten ohne den Zusatz „Militär-“ Strafvollzug
aus. Lediglich das Ministerium für Staatssicherheit
verwandte in seinen Unterlagen diese vorangestellte Zuordnung,
was insofern Sinn macht, als die Staatssicherheit im Bezirk
Frankfurt (Oder) mit z. T. denselben Mitarbeitern
die Aufgabe hatte, sowohl die Gefängnisse des Innenministeriums
(z. B. Rüdersdorf), den Jugendstrafvollzug in
Wriezen, die eigene Untersuchungshaftanstalt in Frankfurt
und schließlich nicht zuletzt den Strafvollzug an
Militärpersonen in Schwedt abzusichern.
Die Bediensteten sind in Analogie den beiden chronologisch
getrennten Phasen zuzuordnen. In der Zeit der Verwaltung
durch das Innenministerium trugen die Bediensteten (sofern
sie nicht Zivilbeschäftigte waren) dunkelblaue Uniformen
und hatten an ihren Polizei-Dienstgraden den Zusatz „des
Strafvollzugs“.
Bei Übernahme des Strafvollzugs durch das Ministerium
für Nationale Verteidigung wurde nur ein Teil der
bisherigen Bediensteten übernommen. Andere Berufssoldaten
wurden neu zum Dienst nach Schwedt versetzt, die dann zusammen
mit dem übernommenen Personal die NVA-üblichen
Uniformen und NVA-Dienstgrade trugen. In diesem Zusammenhang
kam eine dritte Gruppe von Personen hinzu, die fast eine
Schnittstelle zwischen den Insassen und den Bediensteten
bildete: Grundwehrdienstleistende und Unteroffiziere, die
in den Wachzug der Disziplinareinheit 2 versetzt wurden
und in kasernierter Unterbringung dem Kommandeur der Disziplinareinheit
unterstellt waren. Diese hatten - ohne Kontakt zu den Insassen
zu haben - das gesamte Gelände abzusichern.
Die Insassen
sind in drei Gruppen zu unterscheiden, wobei die dritte
auch erst ab 1982 relevant war:
1. gerichtlich verurteilte
Militärstrafgefangene mit
Urteil bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe,
2. Strafarrestanten mit bis zu drei (später
sechs) Monaten Aufenthaltsdauer,
3.
Disziplinarbestrafte,
die ohne
gerichtliches Urteil, sondern per Kommandeursbefehl mit
dem neu eingeführten „Dienst in der Disziplinareinheit“ von
ein bis drei Monaten nach Schwedt befohlen waren.
Bei diesen Bezeichnungen ist die Abgrenzung voneinander
noch deutlich erkennbar. Schwieriger wird es bei den
zugehörigen Organisationsstrukturen bzw. Bezeichnungen
für die Dienststelle in den 1980er Jahren.
Denn unabhängig von allen Begriffsbestimmungen
bildete sich insbesondere bei den Insassen ein eigenes
Vokabular heraus, das nicht immer deckungsgleich mit
den Definitionen war. Gerade die sprachliche Unterscheidung
zwischen dem „klassischen“ Militärstrafvollzug
und dem neuen Bereich für die Disziplinarbestraften
ab Ende 1982 führte zu nicht immer zutreffenden
Benennungen. Eigentlich war die Bezeichnung „Disziplinareinheit“(vollständig „Disziplinareinheit 2“)
per Definition als Oberbegriff zu verstehen. So heißt
es z. B. in der Militärstrafvollzugsordnung
von 1982: „Der Militärstrafvollzug ist ein
gesonderter Verwahrbereich in der Disziplinareinheit
der NVA“³ [Unterstreichung vom Autor]. Von
den Insassen selbst wurde die Bezeichnung „Disziplinareinheit“ jedoch
mehr als Abgrenzung, und nicht als Oberbegriff zum Militärstrafvollzug
benutzt. So kommt es, dass Zeitzeugen Formulierungen
finden, die die beiden Bereiche in eigentlich nicht zutreffender
Weise sprachlich voneinander trennen.
Interessanterweise ist in dem wenigen überlieferten
Schriftgut aus dem Dienstbetrieb selbst kaum erkennbar,
wie sich die damaligen Bediensteten sprachlich beholfen
haben. Die „Chronik der Disziplinareinheit“ verwendet
in unmittelbarer textlicher Nähe die Begriffe „Verwahrbereich“ bzw. „Vollzugsbereich“ als
Abgrenzung zum „Disziplinarbereich“.
Vermutlich reichte dem Personal neben der Unterscheidung
der Personengruppen
auch schon eine Benennung der Nummern der Kompanien,
um zu wissen, welcher Bereich gemeint war. Die Kompanien
1-3 waren mit Militärstrafgefangenen und Strafarrestanten
zu belegen. Die Kompanien 4-6 waren den Disziplinarbestraften
vorbehalten (wobei manche Kompanien, wie z. B. die
4. Kompanie, lange Zeit oder gar nicht belegt waren).
Wenn also aus der Sicht der Betroffenen von „Militärstrafvollzug“ und „Disziplinareinheit“ die
Rede ist, geht es eher um eine Unterscheidung zwischen
den Strafarten als um die korrekte Benennung der Dienststelle.
Denn die Wahrnehmung von Unterschieden bei den Strafarten
war begründet: Den gerichtlich verurteilten Militärstrafgefangenen
konnten sich die „Erzieher“ über einen
längeren Zeitraum widmen und für den relativ
festen Bestand an Insassen auch eine Art Freizeitleben
organisieren. Die Einflussnahme auf die nur kurzzeitig
anwesenden Disziplinarbestraften erfolgte durch einen
deutlich strenger organisierten Tagesablauf mit nahezu
keinem Spielraum für Abweichungen, geschweige denn
Freiräumen für die Insassen. So konnte in
beiden Bereichen Druck aufgebaut werden: den Militärstrafgefangenen
war das straffere Regime bei den Disziplinarbestraften
ein Hinweis darauf, dass sie es vergleichsweise „gut“ hätten
und den Disziplinarbestraften konnte mit einer erneuten
Strafe bzw. tatsächlichen Verurteilung und dann
erfolgender Umsetzung in den Teil für die „Langstrafer“ gedroht
werden. Daher war die unterschiedliche Wahrnehmung des
Trennenden für die Insassen relevant. Dennoch erfolgte
beides eigentlich unter dem Namen „Disziplinareinheit 2“
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
¹ Der folgende Text
basiert auf einem nahezu gleichlautenden Beitrag des
Autors für das im Herbst 2013 erscheinende Buch
von Paul Brauhnert, Ilja Hübner und Arno Polzin
(Hrsg.): Der DDR-Militärstrafvollzug und die Disziplinareinheit
in Schwedt (1968 - 1990). Zeitzeugen brechen ihr Schweigen.
METROPOL-Verlag Berlin. Arno Polzin ist Mitarbeiter
beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und arbeitet
aktuell u. a. an einer Studie über den Einfluss
des Ministeriums für Staatssicherheit auf den
Militärstrafvollzug und die Disziplinareinheit
in Schwedt.
² Die Zahl 2 im Namen verweist nicht etwa auf eine
Reihenfolge evtl. mehrerer Disziplinareinheiten sondern
auf die unmittelbare Unterstellung zum Ministerium für
Nationale Verteidigung.
³
Ordnung Nr. 036/9/005 des Ministeriums für Nationale
Verteidigung vom 17.12.1982 über den Vollzug der Strafen
mit Freiheitsentzug an Militärpersonen - Militärstrafvollzugsordnung
- S. 6.
„Chronik
der Disziplinareinheit“ - int. Zählung
Blatt 11, in: Bundesarchiv BArch DVW 5-16/7401.
Ein ehemaliger
Wärter, der seine damalige Rolle durchaus reflektiert,
beschrieb es rückblickend so: „Meine Aufgabe
war, die Jungs so müde zu machen, dass sie nicht auf
dumme Gedanken kamen. [...] Damals war das normal.“ Super
Illu Nr. 18/2013 S. 36.
Exemplarisch
sowohl für die beschriebene Begriffsvermischung
als auch das dargestellte Drohpotential äußert
sich der Nutzer „Biblio“ aus dem Schwedt-bezogenen
Internetforum wie folgt: „Wir mußten in der
DE fast stets singen, und fast immer das Lied "Im
Regiment nebenan" - wahrscheinlich um uns an die benachbarte
Militär-STRAFANSTALT zu erinnern“ (
www.militärgefängnis-schwedt.de).
|